20.05.2017

Heute ist wieder Reisetag!

Schon um 6:00 Uhr morgens bin ich in meinem Zimmer am Rumwusseln, um mich pünktlich um 7:00 Uhr auf den Weg zum Gare du Palais (dem Bahnhof) zu machen. Heute steht Zugfahren auf dem Programm. Der Zug fährt um 8:05 Uhr ab, als ich das Ticket gekauft habe, wurde mir gesagt, das ich um 7:35 Uhr zum Boarding da sein soll. ??? Boarding beim Zug ??? Bin ja mal gespannt. Tatsächlich geht man nicht einfach auf den Bahnsteig, wartet bis der Zug kommt, sucht sich seinen Wagen und steigt ein. Man wartet in einem Wartebereich, bis der Zug zum Boarding aufgerufen wird, alle stehen schön in einer Schlange und zeigen ihr Ticket vor und lassen den Koffer wiegen. Der bekommt dann einen Aufkleber mit dem „geprüften Gewicht“. Dann geht man zum angegebenen Gleis, wo an jedem Wagon eine Servicekraft steht und sich vergewissert, dass man auch in den richtigen Wagon einsteigt und ggf. behilflich ist. Hatte einen spontanen Schwächeanfall und habe das schwere Teil (mein Koffer wiegt 20 Kilo) von dem hilfsbereiten jungen Mann reinwuchten lassen. 😉

Die Ausstattung des Zugs erinnert mich ein bißchen an einen Thalys. Die Sitze sind einen Tick breiter und bequemer als bei einem ICE. Allerdings sieht alles ein bißchen robuster und nicht ganz so elegant aus. Die Tischchen sind in den Armlehen versteckt, die dadurch recht klobig wirken.

Pünktlich um 8:05 Uhr fährt der Zug dann los. Allerdings erheblich gemächlicher als ich es von unseren ICEs mittlerweile gewohnt bin. Leider gibt es in den Zügen keine Geschwindigkeitsanzeige … ich fühlte mich an alte Zeiten erinnert, als es noch den IC gab. der fuhr bereits schneller als der D-Zug aber noch nicht so schnell wie die späteren ICEs.

Ach ja, wo geht es überhaupt hin?

Das Ziel heißt Toronto. In Ottawa muss ich umsteigen … irgenwann am frühen Nachmittag und so um 19:00 Uhr rum komme ich dann hoffentlich in Toronto an. 11 Stunden im Zug, auch eine Herausforderung.

Ich bin ganz gut ausgerüstet. Kopfhörer und iPhone für Musik und Hörbücher sind ebenso griffbereit wie der eBook-Reader mit dem Reiseführer und das Strickzeug. Außerdem habe ich Wasser und was zum Knabbern dabei (Trockenfrüchte und Nüsse). Wenn alle Stricke reißen, kann ich immer noch etwas im Zug kaufen. Leider sind die Menschen um mich herum nicht sonderlich kommunikativ. Die ältere Dame neben mir schafft es mich bis Ottawa zu ignorieren und aus dem Fenster zu schauen, dort trennen sich unsere Wege. Links von mir sitzt ein Pärchen, die sind mit eigenen Themen beschäftigt. In Montreal steigen eine Menge Reisende aus und neue ein. Darunter ein junger Mann, der sich angeregt mit einer jungen Frau unterhält… über die Deutsche Sprache … das die sehr kompliziert ist …und dann sagt er auf einmal recht laut „Scheiße“, was mich natürlich veranlasst mich umzuschauen, könnte ja was passiert sein … es kommt zu einem kurzen Gespräch (hurra – jemand redet mit mir) Ich merke jedoch schnell das der gebürtige Deutsche aus Bayern, mich nur „benutzt“ um seine Mehrsprachigkeit unter Beweis zu stellen. Offenbar hat er die junge Dame eben erst kennengelernt und ist nun mächtig am Baggern. Na dann, viel Glück.

Irgenwann zwischendurch die nicht wirklich erstaunliche Meldung, dass wir 20 Minuten hinter dem Zeitplan hängen. Nicht weiter schlimm, es ist genug Puffer zu meinem Anschlußzug da. Schließlich Ankunft in Ottawa. Wer jetzt glaubt, man steigt aus dem einen Zug aus und direkt in den nächsten ein, der irrt. Natürlich begibt man sich erst zurück in die Bahnhofshalle und stellt sich dort schön brav zum erneuten Boarding an. Da mein Koffer bereits seinen Aufkleber hat, wird er nicht nochmal gewogen. Anschließend läuft man dann den ganzen Weg zurück um dann ein Gleis weiter als man angekommen ist, in den wartenden Zug einzusteigen. Naja, besonders viel Bewegung werde ich heute ohnehin nicht bekommen.

In diesem Zug habe ich einen Fensterplatz, somit gibt es dieses Mal nur eine potenzielle Gesprächspartnerin. Wieder eine ältere Dame, allerdings nicht ganz so zugeknöpft wie die letzte. Ein großes Gespräch will aber auch nicht in Gange kommen. Also schaue ich aus dem Fenster. Parallel zu den Gleisen verläuft eine Überland-Stomleitung. Eine Kindheitserinnerung schießt mir durch den Kopf. Als ich noch klein war, sind wir öfter mit dem Zug gefahren, um meine Großeltern zu besuchen. Ich fand die Zugfahrten immer ziemlich langweilig, irgendwann habe ich dann die Stromleitungen neben dem Zug entdeckt. Ich fand damals, dass es ausah als ob sie tanzen: Rauf und runter, mal überkreuz, dann wieder auseinander, manchmal sind sie ganz außer Sicht, um dann plötzlich wieder aufzutauchen. Die Stromleitungen hier führen einen ungleich wilderen Tanz auf. Die meisten Masten sind noch aus Holz und westenlich niedriger als die modernen Stahlkolosse. einige stehen schräg oder sind ganz umgekippt und werden von Gebüsch oder Bäumen gestützt. Bei einigen sind die Querverstrebungen schief und verdreht. Teilweise stehen die Masten mitten im dichtesten Buschwerk zwischen Bäumen so dicht umwuchert, dass man nur an den Stromleitungen erahnen kann, dass da drin irgendwo ein Mast stehen muss. An einer ganzen Reihe der Masten wuchern auch Kletterpflanzen empor und haben schon ein gutes Stück der Stromleitungen gekappert. Einen Moment lang überlege ich ernsthaft, ob das wohl gefährlich ist und dass es das in Deutschland nicht geben würde. Man schleppt eben, seinen kulturellen Background immer mit sich herum. Die Landschaft durch die wir gefahren sind, war teilweise recht schön, häufig habe ich aber auch häßliche Ecken gesehen. Autoschrottplätze, Fabrikgelände, Verfallene Gebäude. Dann wieder proper zu Recht gemacht Ortschaften. Im Vorbeirauschen habe ich hübsche Kirchen mit silberglänzenden Dächern gesehen. Bei der Botanik hapert es wieder: Flächen mit niedrigem Buschwerk (Heideland?), Birkenwald (wieviele Bäume machen eigentlich einen Wald?), seichtes Wasser mit Schilf (Fluß, Teich, Sumpf!?) Irgendwo habe ich was von einer kürzlichen Überschwemmung gehört, vielleicht auch noch Spätfolgen?, Wiesen, Felder auf denen aber nichts wächst!? Entweder sieht man die braun/graue Krumme, die offenbar schon vor einer Weile gepflügt worden ist, oder es wachsen sogar erste Grasbüschel und Unkraut darauf. Im Mai müsste aber doch die Saat ausgebracht und erste Pflanzen zu sehen sein? Auf ein oder zwei Felder stehen größere Wasserlachen … vielleicht die besagte Überschwemmung. Ich bleibe mit meinen Gedanken und Fragen alleine. Die letzte Stunde Fahrt zieht sich wie Kaugummi. Kurz vor der Ankunft wird die Dame neben mir irgendwie nervös, schaut immer wieder hektisch auf ihren Fahrschein. Ich kann erkennen, dass sie offenbar noch einen Anschlußzug nehmen muss, wir liegen aber gut in der Zeit, haben nur 2 Minuten Verspätung … schließlich fragt sich mich leicht verzweifelt, ob ich wüsste welche Uhrzeit das sei und deutet auf die Abfahrtzeit des Anschlußzuges auf Ihrem Ticket „19:35“  etwas unbeholfen antworte ich „half past seven and five minutes“ und füge hinzu „we will arrive at seven minutes after seven, so you will have enough time for the change“, das beruhigt sie. Ich fühlte mich an meine erste Begegnung mit dem „dreiviertelacht“ aus Süddeutschland erinnert. Was, wenn ich es mir richtig gemerkt habe, 7:15 Uhr meint. Die vielen kleinen Unterschiede über die ich auf meiner Reise stolpert, machen mir bewußt wie vieles ich einfach als selbstverständlich, als normal, nehme.

Für heute genug philosophiert.

Um 20:00 Uhr bin ich endlich in meinem Hotel in Toronto angekommen, habe mir noch schnell den Weg zum nächst gelegenen Supermarkt zeigen lassen und fürs Frühstück eingekauft. Mal ehrlich, wer bezahlt mitten in der Großstadt mit zig Geschäften drum herum 24 CAD ( ca. 16 €) für ein Frühstück? Selbst bei einem ausgedehnten Brunch bekomme ich den entsprechenden Gegenwert nicht verputzt.

Mein kurzer Blogeintrag ist nun doch relativ lang geworden. Es ist bereits nach Mitternacht. Da in Deutschland schon 6:30 Uhr ist, verbleibe ich mal mit einem „Guten Morgen“ 😉

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Kommentare

  1. Neeeee Jutta, Dreiviertelacht bedeutet 07:45 Uhr Warum versteht ihr das alle nicht? Das ist ein Dreiviertel von Acht

    1. Schätze mit dieser Logik muss man aufgewachsen sein, um sie zu verinnerlichen. Vielen Dank für den Hinweis 🙂

  2. Apropos Wasser: Hat sich deine Wasserflasche mit Kohlefilter bewährt?
    Foltermethode: 11 Stunden nicht mit Jutta sprechen!

    1. Ja, die Wasserflasche ist toll. Habe sie praktisch immer dabei. Bisher ist auch noch nie was ausgelaufen.

  3. …um die Verwirrung bei Jutta komplett zu machen: dreiviertel acht bedeutet, dass bereits 3 Viertel vergangen sind bis es 8 Uhr wird. Man kann aber auch viertel vor acht sagen 😉
    …und später lernen wir dann noch den Begriff „Nacht auf´d Nacht“ – Morgen abend .

    1. Schön wie Ihr Euch alle um mich und meine Verständisschwierigkeiten von Süddeutschen Zeitangaben sorgt. Das ist super lieb von Euch.
      Danke
      Jutta

Kommentare sind geschlossen.